Die Welt der Färöer
Hans Peter Roth kam als Tierschützer zum ersten Mal auf die Färöer. Seitdem kehrt er immer wieder auf die Inseln zurück, als begeisterter Reisender und als Reiseleiter.
Ein kleines Insekt, und die Unruhe ist perfekt. Schwirrt einem echten Färöer eine Wespe um den Kopf ist die Chance gross, dass er nervös wird. Die Menschen auf den Inseln auf 62 Grad Nord stammen von den Wikingern ab. Ihre Vorfahren sind aus Skandinavien über das Meer gesegelt und haben die karge, raue Inselwelt als ihre neue Heimat erkoren. Weder orkanartige Stürme noch haushohe Wellen oder harte Arbeit schüchtern einen Färöer ein. Aber eine Wespe? Die Begründung ist kurz: Man kennt sich nicht wirklich. Die Nordmänner haben sich noch nicht richtig an die stechenden Störenfriede gewöhnt. Wespen wurden erst vor etwa zwanzig Jahren auf die Färöer eingeschleppt. Die Inselgruppe im Atlantik liegt so abgelegen, dass die eine oder andere kleine Plage den Weg dahin lange nicht fand. «Ähnlich ist es mit Sommergewittern», erzählt Hans Peter Roth. «Auch sie sind relativ neu auf den Färöern und den Einheimischen suspekt.» Dass das Wetterphänomen so hoch im Norden auftritt, sei eine Folge des Klimawandels. Hans Peter Roth kennt den Archipel und seine Bewohner gut. Der Berner hat die Inselgruppe mehr als zehnmal besucht. Er hat vor Ort gearbeitet und gelebt und Freundschaften geschlossen. Als Reiseleiter bringt er die Region auch Besuchern näher. Unter anderem ist er für Vögele Reisen ab 2022 mit Gruppen auf den Färöer-Inseln unterwegs. «Ich fühle mich dem Land sehr verbunden», sagt er. Dabei war er einst als Kritiker gekommen.
Photo Credit: Visit Faroe Islands
Grüne Berge mitten im Atlantik
Hans Peter Roth ist Autor, Journalist und Umweltaktivist. Zusammen mit Richard O‘Barry, dem ehemaligen Trainer von Delfin «Flipper» aus der Fernsehserie, hat er 2010 das Buch «Die Bucht» zum gleichnamigen, oscarprämierten Dokumentarfilm geschrieben. O‘Barry und Roth deckten auf, wie in einer Bucht in Taiji in Japan unzählige Delfine brutal gefangen und getötet werden. Auch die Färöer-Inseln sind auf dem Radar von Wal- und Delfinschützern. Jedes Jahr werden beim sogenannten «Grindadráp» Grindwale ins seichte Buchten getrieben und blutig abgeschlachtet. Roth sass vor zehn Jahren zum ersten Mal im Flugzeug von Kopenhagen auf die Färöer, um als Naturschützer die Grindwaljagd zu dokumentieren und den Dialog mit der lokalen Bevölkerung zu suchen. Schon beim Anflug lernte er eine Region kennen, die anders war als alles, was er bisher erlebt hatte. «Da ist zum einen natürlich diese spektakuläre Natur.
Photo Credit: Visit Faroe Islands
Grüne Berge mitten im Atlantik. Gigantische Felswände, die senkrecht ins Meer abfallen.» Wer sich auf diesem Flecken Erde bewegt, sei immer wieder fasziniert von den Kontrasten. Auf saftig grünen Weiden grasen unzählige Schafe und liefern ein idyllisches, liebliches Bild, das an der Kante der Klippe jäh abreisst. Ein unbarmherziger Abgrund, nackter Fels, bis zu 700 Meter hoch, der dem meist tosenden Atlantik trotzt. Flach ist es auf den Färöer-Inseln nirgendwo, die Inseln sind gebirgig. Aber es ist nicht nur die so aussergewöhnliche Natur und Landschaft, die Roth schnell in Bann zog. Es war auch nicht die kristallklare, reine Luft, die Besuchern sofort auffällt und sie wie aus Reflex tief durchatmen lässt, sobald sie ankommen. Es waren von der ersten Minute an auch die Menschen. «Schon mein Sitznachbar im Flugzeug kam mit mir ins Gespräch und hat mir nach der Landung angeboten, mich mit dem Auto in die Stadt mitzunehmen und gleich zum Abendessen bei seiner Familie zu bleiben.» Eine solche Gastfreundschaft, sagt Roth, sei auf den Färöer-Inseln die Regel, nicht eine Ausnahme. «Die Menschen sind sehr offen, interessiert und weniger reserviert, als man es sonst in Skandinavien kennt. Obwohl sich die Färöer stark mit den Isländern, Norwegern und Dänen verbunden fühlen.» Sie fühlen sich verbunden, aber eben nicht gleich.
Photo Credit: Visit Faroe Islands
Dänisch, aber nicht in der EU Politisch gehören die Färöer Inseln zu Dänemark. Sie geniessen aber eine weitgehende Autonomie und sind nicht Mitglied in der EU. «Zwar erhalten die Einheimischen auf Wunsch einen dänischen und damit einen EU-Pass, der gewisse Vorzüge bringt. Aber beispielsweise von Handelsembargos gegenüber Russland halten sich die Färöer frei. Hier zeigt sich der ausgeprägte Überlebenssinn einer Inselnation, die von jeher auf Handel angewiesen war», sagt Roth. Hauptwirtschaftszweig ist die Fischerei, inzwischen auch mit Lachsfarmen. Gross spezialisieren könne man sich auf den Färöer aber nicht, darum hätten die meisten mehr als einen Job, erzählt Roth. Der Lebensstandard ist hoch, viele junge Männer arbeiten wochenweise auf Ölplattformen in Norwegen. Die Färöer-Inseln haben eines der ältesten Parlamente der Welt, und mit Abstand die höchste Geburtenrate Europas. Wer in der abgelegenen Heimat bleibt, hat meist früh viele Kinder. «Es ist eine moderne Welt, die gleichzeitig sehr traditionell geprägt ist. Die Mischung ist faszinierend», findet Roth. Er erzählt von grossen Infrastrukturprojekten wie einem 25 Kilometer langen Tunnel unter der Meeresoberfläche, um die Südinsel mit rund 4500 Menschen besser an die Hauptinseln anzubinden. Von langen Brücken und schnurgeraden Tunnels, in denen auch gerne einmal Gas gegeben wird, weil sie die einzigen Strassen sind, auf denen nicht ständig mit einem Schaf gerechnet werden muss. Rund 50 000 Einwohner leben auf den 18 Färöer-Inseln, deren Fläche insgesamt dreissig Mal in die Schweiz passen würde. Den Einheimischen scheint das dennoch gross genug zu sein: «Es ist witzig, dass viele in ihren Ferien einfach mit dem Camper ins nächste Dorf fahren.» Am Wetter kann es nicht liegen. Das ist höchst unberechenbar und oft schlecht. Windstill ist es selten, und die Temperaturen steigen auch im Sommer kaum über 15 Grad. «Aber es ist dieses Wetter, das so monumentale Stimmungen schafft», sagt Roth. Riesige Wolkenwände, die sich am Himmel zusammenbrauen, lange Nebelschwaden, die wie Gespenster über die Landschaft streifen, Sonnenstrahlen, die sich ihre Wege bahnen und Wind, der alles wieder neu durchmischt.
Abgelegene Inseln, ureigene Kultur
Für Zusammenhalt sorgt laut Roth die buchstäblich sagenhafte Kultur. Auf diesen winzigen Inseln, wo die Dächer von grünem Gras bedeckt sind, die Wasserfälle bei Stürmen manchmal eher nach oben stieben als nach unten fallen und die Wolken ständig neue Lichtverhältnisse zaubern, hat sich eine ureigene Kultur entwickelt. Angefangen bei der Sprache, die zwar mit Isländisch verwandt ist, sich aber in der Aussprache komplett unterscheidet, über eine erstaunlich grosse Literaturszene, eine beeindruckende Zahl von lokalen Bands und Musikfestivals aller Genres sowie Theaterproduktionen. Prägend sind das Erbe der Wikinger, die charakteristische Natur und die eigene Sprache. Zwar sprechen fast alle gut Englisch, aber die lebendige Kulturszene ist färöisch unterwegs. Hans Peter Roth lassen die Inseln nicht mehr los. Heute ist er mehr als Reiseleiter auf den Färöer unterwegs denn als Naturschützer. Er bringt seinen Gästen die Natur und Kultur der Region näher, geht mit ihnen wandern, bringt sie mit Einheimischen in Kontakt, erzählt von der Tierwelt. «Ich habe nach wie vor grosse Mühe mit dem Walfang. Aber inzwischen haben ihn so, wie er auf Färöer betrieben wird, sogar einzelne Umweltorganisationen als nachhaltig eingestuft. Früher war er für die Einheimischen überlebensnotwendig. Heute halten sie aus «Tradition» an der Grindwaljagd fest.»
Photo Credit: Visit Faroe Islands
Ein Artikel von Stefanie Schnelli, Apalis Verlag